Helga Zumstein
TÄTIGKEITSBEREICH
- Malerei
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Laudatio von Dr. Martina Kral zur Ausstellung im LA POSTE in Visp 2021
Ein stilles, unaufgeregtes Warten. Eine tiefe wie angenehme Stille entströmt den Bildern. Jegliches Zeitmass ist aufgehoben. Umhüllt von dieser Atmosphäre ist jede Frau für sich und mit sich allein, sehr intim präsentiert in einer individuellen Umgebung, in sparsam angedeuteten Räumlichkeiten. Und doch sind sie alle sichtlich miteinander vereint aufgrund unaufdringlich zurückgenommener Haltungen, Posen und Gesten, die wie Momentaufnahmen erscheinen. Ob hockend auf einem Stuhl, einem Bett oder auf dem Boden, ob schlafend, stehend oder rauchend signalisieren die Frauen aller Entspanntheit und Gelassenheit zum Trotz, dass sie sonst mitten im Leben stehen, anpacken, reagieren und trotz ihrer fragil und verletzlich wirkenden Ausstrahlung stark im Agieren sind. Jetzt gilt jedoch eine andere Zeitdimension, die sich auf ein Innehalten, eine Auszeit oder Rauchpause, auf ein Nachdenken und Reflektieren fokussiert. Unweigerlich drängt sich das Motto «In der Ruhe liegt die Kraft» auf. Das mag wohl völlig unspektakulär erscheinen. Ja, vielleicht auf den ersten Blick. Doch nicht auf einen weiteren, gar dritten oder vierten Augenschein, den wir unbedingt nehmen sollten.
Helga Zumstein ist eine genau beobachtende, malende Meisterin des Alltags. Schon seit vielen Jahren fängt sie (scheinbar) Unspektakuläres und (sogenanntes) Alltägliches mit Pinsel und Farben ein und lenkt feinsinnig, tiefgründig-humorvoll, spritzig, pfiffig, bisweilen auch frech, schräg und sinnlich-erotisch unsere Blicke, unser Herz und den Verstand auf Themen, die emotional berühren, an denen wir als Beobachtende, die im vorderen Teil des Raums stehen, teilnehmen dürfen. Urplötzlich tauchen Assoziationen und Geschichten auf und Erinnerungen werden wach etwa bei Auszeit, Isolation, Energiesparmodus oder Stille Nacht. Erlebten wir den Alltag zu Corona-Zeiten ähnlich, als unser Umfeld heruntergefahren und Vieles eingeschränkt wurde? Welche Erfahrungen spiegeln sich in diesen selbstbewussten Frauengestalten wider, mit denen wir das grosse Warten auf «die Zeit danach» noch einmal erleben dürfen? Es ist die Stärke der Künstlerin Vieles für eigene Interpretationen offen zu lassen, um Bild-Geschichten weiter spinnen zu können, indem sie mit einer reduzierten Farbpalette Gegenständliches noch mehr als zuvor abstrahiert oder auflöst und Details nur andeutet. Direkt und vielschichtig zugleich packt Helga Zumstein mit grosser Erzählfreude Themen an und macht daraus Ereignisse wie bei Happy Hour, dem humorvollen Rendezvous mit Waschmaschinen oder im geheimnisvoll meditativ wirkenden Werk im Schlummermodus, das in einen halbwachen, halbschlafenden Seins-Zustand entführt.
«Ich möchte mit meinen Bildern kleine Inseln schaffen. Ich weiss, die Welt ist nicht so rosa wie ich sie male, aber ich möchte eine Möglichkeit für Friedvolles zeigen, für Anstand und Respekt». Auch diesmal ist es Helga Zumstein gelungen Rückzugsorte oder Inseln zu schaffen, die es uns ermöglichen, mit absolut gedanklicher Freiheit über alle zeitlichen und räumlichen Grenzen hinweg in Sphären voller Friedfertigkeit, gegenseitiger Wertschätzung und Hochachtung einzutauchen und daraus – unabhängig jeglicher Situation - Zuversicht und Lebensmut zu schöpfen. Dies erst recht vor dem zeitlichen Hintergrund der Ausstellung im noch jungen Jahr 2021: Denn nun symbolisieren die ausgeglichen-engagierten, kraftvoll- dezenten Frauenpersönlichkeiten in Helga Zumsteins aussagekräftigen Werken das erst vor 50 Jahren eingeführte Frauenstimmrecht in der Schweiz.
Ó Martina Kral, Dezember 2020